Der dienstälteste Eishockeyarzt praktiziert in Memmingen: Dr. Rainer Grosch seit fast 30 Jahren am Hühnerberg

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(Verein)  Eishockey gilt als eine der härtesten Sportarten der Welt. Krachende Checks, knallharte Zweikämpfe, dazu ein Schläger, der nicht immer „nur“ zum Schießen des Pucks benutzt wird. Kein Wunder, dass sich im Laufe einer langen Saison die Verletzungen und „Wehwehchen“ der Cracks häufen. So auch beim ECDC Memmingen, der es heuer zum dritten Mal in Folge bis ins Halbfinale der Bayerischen Eishockey-Liga geschafft hat. Bei den GEFRO-Indians baut man auf die Arbeit von Vereinsarzt Dr. Rainer Grosch. Seit 28 Jahren ist er am Hühnerberg eine „Institution“ – und der dienstälteste Eishockeyarzt in Deutschland.

Angefangen hat alles 1986. Grosch, gebürtiger Frankfurter, hatte sich drei Jahre zuvor als Allgemeinarzt und Sportmediziner in Memmingen niedergelassen, als er einen Anruf vom damaligen SCM-Funktionär Manfred Ottow bekam: Ob er sich vorstellen könne, das Oberliga-Team des Schlittschuhclubs zu verarzten, lautete die Frage. Mit anfänglicher Skepsis verfolgte der damals 38-Jährige sein erstes Spiel von der Tribüne aus – doch da sollte er nicht lange bleiben. „Nach acht Minuten hatte der erste Spieler eine klaffende Platzwunde im Gesicht, ich musste aufs Eis. Anschließend bin ich wieder auf die Tribüne, doch schon zehn Minuten später lag der nächste mit einer ausgekugelten Schulter da. Ab dem zweiten Drittel blieb ich also auf der Spielerbank – und da bin ich nun seit 28 Jahren“, erzählt Grosch, der seither jeden Trainer, Spieler und Funktionär im Memminger Eishockey erlebt hat. Auch die beiden schmerzhaften Pleiten des SC und des EHC Memmingen machte er mit, ans Aufhören dachte er aber nie. „Ich bin eishockeyverrückt“, sagt er. „Die Stimmung in der Kabine ist in Memmingen fast immer gut, deshalb bin ich gerne dabei. Mich fasziniert der Umgang mit jungen Sportlern, das professionelle Arbeiten und der Teamgedanke.“ Der – und der Spaßfaktor – stand bei allen Memminger Vereinen immer an erster Stelle.

Doch natürlich gab es auch bange Situationen, die der Mannschaftsarzt zu bewältigen hatte: „Die schlimmste Verletzung war der Halswirbelbruch von Sven Barnet Anfang der 90er bei einem SCM-Spiel in Bad Tölz. Ich musste mich damals auf dem Eis gegen die Sanitäter durchsetzen, die Barnet bewegen und aufhelfen wollten.“ Nach der Erstbehandlung durch Grosch wurde der Verteidiger umgehend ins Klinikum nach Großhadern gebracht und noch in der Nacht operiert. Erst danach stand fest, dass der „Bandencrash“ halbwegs glimpflich ausging und Barnet nicht gelähmt bleiben würde. Bei anderen, weit harmloseren Verletzungen sei die Sofortbehandlung auf dem Eis das Wichtigste. „Man muss schnell sein, Schwellungen verhindern und sich für das Richtige entscheiden“, so Grosch, für den genau das den Reiz als Eishockeyarzt ausmacht. „Das Spiel verlangt vollste Konzentration. Ich muss jede Sekunde verfolgen, um beispielsweise einen Stockstich zu sehen und zu wissen, was passiert ist.“ Seine Arbeit mit den Spielern beginnt meist schon zwei Stunden vor der Partie, wenn Tapes oder Verbände angelegt werden, mit der Physioabteilung Massagen und Dehnungsübungen auf dem Plan stehen und Blessuren behandelt werden müssen. „Blaue Flecken, Prellungen und Zerrungen gibt’s beim Eishockey im Sonderangebot“, lacht Grosch, der seine Spieler schon mal scherzhaft „Memmen“ nennt. „Auf dem Eis sind sie hart, in der Kabine wird gejammert…“

Doch auch für den Mediziner gab es mit den Jahren ein paar brenzlige Momente zu überstehen. Einmal wurde er vor dem Mannschaftsbus von einem Stuttgarter Fan angegriffen. „Die Spieler standen herum und lachten, also musste ich mir selbst helfen“, schmunzelt der Arzt. Weit weniger witzig war die Situation 1999 in Dresden, als der EHC Memmingen im entscheidenden Spiel der Aufstiegsrunde mit 3:1 siegte und von fast 3000 Fans anschließend mit Glasflaschen beworfen und bedroht wurde. „Wir mussten gucken, dass wir heil rauskommen, das war lebensgefährlich“, erinnert sich Grosch, der bei seinen Fahrten zu den Auswärtsspielen jährlich tausende Kilometer auf der Autobahn abspult.

Bei den GEFRO-Indians ist der 66-Jährige als Mannschaftsarzt ohnehin nicht mehr wegzudenken. „Er ist eine Institution und hat großen Anteil daran, dass wir heuer zum dritten Mal in Folge bis in den März spielen konnten und das Halbfinale erreichten“, weiß Vereinschef Helge Pramschüfer. „Unsere Spieler rufen fast täglich bei ihm an. Ohne seine ehrenamtliche Arbeit und die unserer Physiotherapeuten wäre Eishockey auf diesem Level nicht möglich“, sagt Pramschüfer und hofft, dass „Spritze“ den Indians noch lange erhalten bleibt. Den Spitznamen „Spritze“ trägt der Doktor im Verein schon seit Jahren, was selbstverständlich aber nichts mit der Verabreichung leistungssteigernder Substanzen zu tun hat. „Die Spieler fragen höchstens mal nach Nahrungsergänzungsmitteln“, lacht Grosch, der die professionelle Einstellung der Sportler lobt. „Der Alkoholkonsum in der Kabine nach dem Spiel ist deutlich weniger als noch vor 15 oder 20 Jahren. Selbst beim SCM in der 2. Bundesliga wurde mehr getrunken und geraucht. Die Spieler sind heute viel disziplinierter.“

Und so will er auch nächste Saison mit den Cracks des ECDC Memmingen zusammenarbeiten und noch mehr Freizeit in den Job am Hühnerberg stecken. Der Vorteil: „Als Eishockeyarzt bin ich immer auf dem neuesten Stand der Medizin und habe ein großes Kollegen-Netzwerk, beispielsweise in den Spezialgebieten Knie und Schulter. Davon profitieren auch die Patienten in meiner Praxis“, so Grosch. Ans Aufhören denkt der dienstälteste Eishockeyarzt Deutschlands jedenfalls nicht. Im Gegenteil: „Die 30 Jahre an der Bande mache ich sicher noch voll.“


Verfasser: Daniel Halder


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